1929 – 1937 | WANDER BIRD, Kap Hoorn

ab 1929: Tompkins, WANDER BIRD, Kap Hoorn

Seit dem Stapellauf im Jahr 1883 hat eine Reihe von Menschen dazu beigetragen, dass der Lotsenschoner No. 5 ELBE weiterlebt. Eine entscheidende Rolle in der Geschichte des Schiffes spielt der Amerikaner Warwick M. Tompkins.

Im Frühjahr 1929 kauft der US-Amerikaner den außer Dienst gestellten Lotsenschoner.

In einem Artikel beschreibt er später, wie er das Schiff im Hamburger Hafen gefunden hat: „She was lying gray, dirty and naked, her spirit visibly drooping, at a dock in that turbulent northern city.”  Grau, schmutzig und “nackt” im Hafen liegend bietet der Lotsenschoner damals einen traurigen Anblick.

Wer ist der Mann, der sich als damals 29-Jähriger entschließt, das Schiff zu kaufen und instand zu setzen?

1928 heiratet Warwick M. Tompkins seine Frau Gwen. Beide beschließen: Es ist Zeit für ein eigenes Schiff.

Nach seiner Zeit auf verschiedenen Schiffen – schreibt Warwick Tompkins in seinem Buch „Fifty South to Fifty South“*  – wusste er, was er sucht: ein Lotsen-Schiff, gebaut für die raue See, das Ergebnis jahrhundertelanger Entwicklung und Erfahrung:

„We wanted a pilot boat. They are virtually super-yachts, born of centuries of trial and error. Fruit of immeasurable sea experience, unquestionable the ablest craft afloat.”*

Für die Restaurierung auf einer Hamburger Werft kann Tompkins den Wewelsflether Schiffbaumeister Gustav Junge als Berater gewinnen. „Ein genialer Mann, der bereits 1879 als 18-jähriger in seiner Lehrzeit einen derartigen Schoner entworfen hatte. Die damals angefertigte Zeichnung diente bei den Arbeiten 1929 als wichtige Grundlage.“**

Der Lotsenschoner wird aufgeslippt, der Rumpf untersucht und an nur wenigen Stellen repariert.

Der Niedergang achtern weicht einem „Doghouse“ mit Platz für Navigations-Utensilien und zwei Hundekojen. Dort, so Joachim Kaiser, „konnte der Wachhabende mal eine Mütze voll Schlaf nehmen, wenn auf See gerade nichts los war und der Rudergänger das Schiff allein steuern konnte“.

Tompkins fährt mit so genannten „Dorys“ an Deck – einfachen, offenen Fischerbooten, stapelbar und leicht zu Wasser zu bringen, wie sie auf den Neufundlandschonern üblich waren. Die klassische Pinnensteuerung ersetzt er durch eine Radsteuerung. Der Schonermast wird erneuert und erhält eine Topstenge wie der Großmast, später wird zusätzlich eine Breitfockrah geriggt.

Die finanzielle Lage der Tompkins ist bescheiden. Den größten Teil der Summe, die sie ins Schiff stecken, leihen sie sich bei Freunden zusammen: „I still owe friends almost all of that first 15000 $“ schreibt Tompkins später.

Warwick Tompkins benennt das Schiff um, aus WANDERVOGEL wird WANDER BIRD.

Warwick M. Tompkins
Warwick M. Tompkins © Stiftung Hamburg Maritim
An Bord der WANDER BIRD
An Bord der WANDER BIRD © Stiftung Hamburg Maritim

Im Sommer 1929 segeln die Tompkins mit einer Crew aus Freunden und Gästen ihren ersten Törn über den Atlantik.

In den folgenden Jahren entwickelt Warwick Tompkins sein eigenes Geschäftsmodell, um den Unterhalt für die Familie und das Schiff zu verdienen: Zahlende Gäste können auf sogenannten „Annual Cruises“ mitsegeln, zweimonatigen Atlantiküberquerungen mit anschließender Küstenfahrt zu europäischen Sehenswürdigkeiten und Hauptstädten.

In einem jährlich erscheinenden Werbeheft für den „Annual Cruise“ heißt es: „Wander Bird“ takes boys to sea. She returns with men.“

Mit einem Mix aus Charakterbildung, sozialem Gruppentraining und seemännischer Grundausbildung zielt Tompkins auf die Söhne wohlhabender und einflussreicher Eltern.

WANDER BIRD
WANDER BIRD © Stiftung Hamburg Maritim
Diamond Head voraus
Diamond Head voraus © Stiftung Hamburg Maritim

Eine Reise trägt auf besondere Weise dazu bei, dass der Lotsenschoner No. 5 ELBE – damals WANDER BIRD – bis heute einen legendären Ruf genießt. Der Amerikaner Warwick M. Tompkins umsegelt mit seiner Familie Kap Hoorn.

Zwischen 1929 und 1935 hat der ehemalige Lotsenschoner insgesamt 13 Mal den Atlantik überquert. Die Tompkins bewohnten die alte Kapitänskajüte achtern.

1930 wird Tochter Ann, 1932 Sohn Warwick jr. geboren. Für die Kinder ist das Schiff ihr schwimmendes Zuhause.
Tompkins großer Traum ist es, mit WANDER BIRD um Kap Hoorn zu segeln:

„A man who loves the sea and ships can aspire to no more searching test than a Horn passage. It is the last word in the lexicon of sailormen.” *
* Warwick M Tompkis „Fifty South to Fifty South“

In der Kombüse der WANDER BIRD © Stiftung Hamburg Maritim

Im Juni 1936 beginnt die Reise in Gloucester / Massachusetts und endet 121 Tage später in San Francisco. Außer den Familienmitgliedern sind noch sechs weitere Crewmitglieder an Bord.

WANDER BIRD im Sturm vor Kap Hoorn. Der Koch beim Zubreiten der Speisen in der Kombüse. Die Kinder, damals 6 und 4 Jahre alt, die völlig ungesichert im Rigg herum klettern: Der Törn um Kap Hoorn ist so umfangreich dokumentiert, dass wir noch heute  einen lebendigen Eindruck von dieser außergewöhnlichen Reise bekommen.

Warwick M. Tompkins produziert einen Film, mit dem er nach seiner Rückkehr auf Vortragsreise geht. Außerdem schreibt er zwei Bücher. In „Fifty South to Fifty South“  beschreibt er die Ereignisse Tag für Tag und gibt darüber hinaus viele Informationen zu Ausrüstung, Rigg und Seemannschaft.

Im Buch „Two little sailors“ („Zwei Kinder segeln um Kap Horn“) geht es um die Reise aus der Perspektive der Kinder.
Nach der legendären Kap Hoorn Umsegelung unternimmt Warwick M. Tompkins noch weitere „Annual Cruises“ in den Pazifik. Traumziele wie Tahiti oder Hawaii werden angesteuert.  Mit dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour und dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg enden die Pazifikreisen.

Zurück in Amerika zerbricht die Ehe der Tompkins. Warwick zieht an Land, Gwen bleibt mit den Kindern an Bord. 1949 wird das Schiff abgeriggt und die Masten gekappt. Der Rumpf liegt als Wellenbrecher vorm Yachthafen von Sausalito.
An diesem Punkt wäre die Geschichte des Lotsenschoners No. 5 ELBE fast zu Ende gewesen. Aber sie geht immer noch weiter…